Europameisterschaften werden jedes Jahr in den verschiedensten Sportarten durchgeführt. Dafür wird trainiert, gegen den inneren Schweinehund gekämpft und an die körperlichen Grenzen gegangen. Es gilt Niederlagen zu verkraftet oder auch unvergessliche Erfolge zu feiern.
Einer eher unbekannten, den Paralympics gleichgestellten Europameister-schaft fand vom 21.08. bis 28.08. in Oxford/Großbritannien statt. Dort kämpften Organtransplantierte- und Dialysepatienten vom 22.08. bis 28.08. um Gold, Silber und Bronze. Mehr als 400 Sportlerinnen und Sportler aus 26 Nationen nahmen an den Wettkämpfen teil. Dieser Herausforderung stellte sich auch Tina Hummel aus Vöhrenbach Langenbach.
Nach einem akuten Organversagen, ohne jegliches Anzeichen, im Jahr 2017 nahm das Leben der damals 46-jährigen von heute auf morgen einen völlig anderen Lauf. Durch eine Lebertransplantation in der Universitätsklinik Tübingen ist sie dem Tod buchstäblich „in letzter Minute“ von der Schippe gesprungen und bekam ein zweites Leben geschenkt. Unten angekommen, galt es sich wieder ins Leben zurückzukämpfen. Laufen, sprechen und rechnen musste nach diesem Schicksalsschlag, bei welchem neben der Leber auch beide Nieren versagten, wieder erlernt werden. Vom Ehrgeiz getrieben, wieder auf das Fahrrad sitzen und die Laufschuhe schnüren zu können, war es nach ca. 7 Wochen so weit, dass die leidenschaftliche Radfahrerin wieder erste wackelige Schritte ohne Rollator machen konnte und die körperliche Verfassung von Tag zu Tag etwas besser wurde.
Durch Zufall stieß sie auf die deutsche Vereinigung „TransDia“, ein Sportverein für Transplantierte- und Dialysepatienten mit Sitz in Reutlingen. Acht Monate nach der Transplantation nahm Tina Hummel dann an den von TransDia organisierten Deutschen Meisterschaften in Villingen-Schwenningen beim Minimarathon und Straßenrennen teil. Austragungsort war damals Villingen-Schwenningen. Dort konnte sie ihre ersten beiden Meistertitel erkämpfen und im Folgejahr 2019 in Murr bei Stuttgart erfolgreich verteidigen.
In den Jahren 2020 und 2021 fielen die Deutschen Meisterschaften sowie die in Dublin geplanten Europameisterschaften aufgrund Corona aus.
Nach knapp vier Jahren Dialyse im Nephrologischen Zentrum Donaueschingen sowie Villingen-Schwenningen bekam Tina Hummel im Mai 2021 einen überraschenden Anruf aus Tübingen. Es wurde glücklicherweise eine passende Spenderniere gefunden, welche im Universitätsklinikum erfolgreich transplantiert wurde.
Nun, im Jahr 2022, konnte nach der Lockerung der Coronabeschränkungen die ausgefallene Europameisterschaft in Oxford nachgeholt werden. Mehr als um das sportliche Ergebnis gehe es bei den Transplant Games um die Botschaft, was nach einer Organspende wieder alles möglich ist und wie wichtig es ist, sich zur Organspende bereit zu erklärt.
„Ein großartiges Erlebnis war das beeindruckende Miteinander im deutschen Nationalteam sowie die großartigen Kontakte zu den Teilnehmern der anderen Nationen“ berichtet Tina Hummel. „Auch die bewegende Eröffnungsfeier mit dem Einzug der Nationen und der jeweiligen Hymne sowie die Wettkämpfe unter anderem auf dem imposanten Gelände von Blenheim Palace sind unvergesslich“. Untergebracht waren die Nationalteams im Radley-College nahe Oxford. „Das Ganze hatte etwas vom Klassenfahrt-Feeling. Abends traf man sich zum Reden auf dem Gang oder in den Gemeinschafts-räumen, teile sich ein Gemeinschaftsbad und jeder unterstützte seine Teammitglieder“ schmunzelt Tina Hummel. Aber es wurde nicht nur getratscht, sondern auch in vielen Sportarten wie beispielsweise Schwimmen, Tischtennis, Tennis oder auch Leichtathletik Höchstleistungen vollbracht und viel Edelmetall mit nach Deutschland gekommen.
Tina Hummel startete beim Minimarathon, dem Prolog (Zeitfahren mit dem Rad) sowie dem Radrennen. Im Prolog fehlten noch 10 Sekunden aufs Siegertreppchen und sie belegte den vierten Platz.
Beim Straßenrennen hat es dann funktioniert. Dort musste sie nur der Engländerin Susan Tarling den Vortritt lassen und konnte sich eine Silbermedaille und somit den Titel Vize-Europameisterin erkämpfen. „Susan ist gefahren wie von der Tarantel gestochen. Da hatte ich keinerlei Chance“ resümierte Tina Hummel. „Aber dieses Mal hatte ich 10 Sekunden Vorsprung vor der Drittplatzierten“. Niemals hätte sie mit diesem Erfolg gerechnet. Die Strecke war sehr anspruchsvoll mit den unterschiedlichsten Belägen. Bei den steilen Abfahrten musste sie einen Teil der Konkurrenz noch vorbeiziehen lassen, konnte aber im bergigen Teil wieder kontern. Hier machte sich das Training im Schwarzwald bemerkbar. „Es war das geilste Radrennen meines Lebens“ freute sich die Schwarzwälderin.
Ein weiterer, sportlicher Höhepunkt war der Minimarathon. Hier konnte Tina Hummel der gesamten Konkurrenz davonlaufen, gewann Gold und den damit verbunden Europameistertitel.
Bei der Nationenwertung landete das Team Deutschland mit 11 Goldmedaillen beim Medaillenspiegel am Ende auf Rang vier hinter Großbritannien, Ungarn und Polen.
„Dank der Organspenden zweier selbstloser, mir unbekannten Menschen darf ich weiterleben“ zeigt sich Tina Hummel sehr dankbar über das Glück und das Geschenk der Organspende. Ebenso zeigt sie sich sehr dankbar über die hervorragende medizinische Betreuung der Uniklinik Tübingen, des Nephrologischen Zentrums Villingen-Schwenningen und des Hausarztes Dr. Grossmann mit seinem Team.
Ein vorrangiges Ziel der Europameisterschaften ist es, die Bedeutung der Organspende zu verdeutlichen und aufzuzeigen, dass man damit anderen Menschen ein neues Leben beziehungsweise neue Lebensqualität schenken kann. Deutschland steht im internationalen Vergleich weit hinten bei der Anzahl Organspenden. Mit einem Ja zur Organspende und das Mitführen eines Organspendeausweises können alle über den eigenen Tod hinaus Gutes tun und neues Leben schenken.
Text: Tina Hummel, Bild: Richard Hall